Das Maß der Not ist entscheidend

Am 14. Juli 2024 feierten Christen, Juden und Muslime gemeinsam einen Gottesdienst für Frieden in Palästina und Israel, der Region, der sich alle drei großen monotheistischen Weltreligionen in jeweils besonderer Weise verbunden fühlen. Im Mittelpunkt des Gottesdienstes in der voll besetzen Friedenskirche von Friedrichssegen standen dabei aber weder religiöse Debatten noch politische Denkmodelle, sondern vielmehr die Menschen, die nun mit Krieg und seinen Folgen leben müssen.

Alle Mitwirkenden des Gottesdienstes (v. l. n. r.): Pfarrerin Antje Müller, Christian Enke, kath. Priester, Rabbi Stefan Tiwy, Wolfgang Elias Dorr als jüdischer Vorbeter, Bassam Nader, palästinensischer Christ, Sängerinnen und Sänger des Ensemble Septime (auch in zweiter Reihe) allerdings ohne Leiter Wassily Kotykov, Nataliia Melnyk, Brigitte Molter von der Diakonie Katastrophenhilfe, Muslima Filiz Achhammer vom Beirat der Menschen mit Migrationshintergrund Lahnstein und Organistin Hannelore Syre.

Eingangs zitierte Pfarrerin Antje Müller angesichts kriegsbedingter Zerstörung der Lebensgrundlage der Menschen im Gazastreifen und anderer kriegsbetroffener Regionen weltweit Nikodemus Schnabel, den Prior der Dormitio-Abtei in Jerusalem: „Ich bin weder pro Israel noch pro Palästina. Ich bin pro Mensch.“ Damit war der gemeinsame Nenner aller Mitwirkenden des Gottesdienstes benannt: Christian Enke, katholischer Priester, ehemaliger Kaplan in Friedrichssegen und Mitglied einer christlichen Friedensorganisation, Rabbi Stefan Tiwy von der liberalen jüdischen Gemeinde Köln, Wolfang Elias Dorr, jüdischer Vorbeter, Bassam Nader, christlicher Palästinenser, Filiz Achhammer, Muslimin und im Beirat für Menschen mit Migration in Lahnstein, Nataliia Melnyk, Geflüchtete aus der Ukraine, Brigitte Molter von der Diakonie Katastrophenhilfe, die die aktuelle Situation im Gazastreifen eindrücklich schilderte und anhand von Bildern illustrierte – sie alle stellten notleidende Erwachsene und Kinder ohne ausreichend Trinkwasser, Nahrung, Kleidung und Dach über dem Kopf in den Mittelpunkt.

Rabbi Stefan Tiwy begründet die humanitäre Hilfe anhand von Tora und Mischna im Talmud.

Die Achtung des Mitmenschen so Tiwy, wiege mehr als eventuell berechtigte Konflikte. Er zitierte aus der Tora, den fünf Büchern Mose, und der Mischna, das sind zugehörige Lehrtexte im Judentum, beides zusammengefasst im sogenannten Babylonischen Talmud: Gott habe immer mitgelitten, wo seine eigenen Geschöpfe vernichtet wurden, ganz gleich, ob diese Menschen nach seinen Geboten lebten oder nicht. Dies zeige schon das Beispiel des Auszugs aus Ägypten, bei dem Gott angesichts der toten Ägypter und der geretteten Israeliten keinen Grund zum Feiern sah, denn sie alle sind seine Geschöpfe, nicht nur die Israeliten. Eine Argumentation, der sich auch Christen unter der von Jesus stark betonten Nächsten- und sogar Feindesliebe nicht verschließen können. Brigitte Molter fasste es so zusammen: „Das Maß der Not ist entscheidend, nicht Religion, Geschlecht oder Volkszugehörigkeit.“

Brigitte Molter berichtet von der Not im Gazastreifen und der Abhilfe, die die Diakonie Katastrophenhilfe zu schaffen versucht. Dank gilt den Kollektengeberinnen und -gebern, die anlässlich des Gottesdienstes über 500 Euro dafür aufbrachten.

So erbaten alle zusammen im Gebet den Mut, sich für notleidende Menschen in Kriegsgebieten zu engagieren und sich für die Hilfe und Wahrheit einzusetzen, gewaltlose Alternativen zu suchen. Meist, davon zeigten sich die Redner überzeugt, verlange letzteres viel Mut, das Auf-sich-Nehmen von unbequemen Einsichten und Umständen.

Gemeinsame Fürbitte für den Mut zur gewaltlosen Lösungssuche, Hilfe und Wahrheit (v. l. n. r.: Wolfgang Elias Dorr, Bassam Nader, Nataliia Melnyk, Filiz Achhammer, Antje Müller und Christian Enke).

Organistin Hannelore Syre wie auch das Ensemble Septime unter Leitung von Wassily Kotykov gaben dem Friedensgottesdienst mit thematisch passenden Liedern einen würdigen, musikalisch sehr ansprechenden Rahmen. Das ergreifende ukrainische “Tebe poem” gehörte genauso dazu wie modernere Friedenslieder aus dem englischsprachigen Raum („Imagine“, „We are the world“) und das israelische “Hevenu Shalom aleichem”.

2 Kommentare

  1. Roswitha Zenker

    Ich war zum ersten Mal bei einem ökumenischen Friedensgebet, das über katholisch-evangelisch hinausgeht. Mich haben alle Beiträge sehr angesprochen und besonders für die Not in Israel und dem Gazastreifen sensibilisiert. Diese Gebetsstunde zeigt, dass ein multireligiöses Miteinander möglich ist und es ist zu wünschen, dass es den Menschen im Nahen Osten und auch in der Ukraine auch wieder möglich gemacht wird.
    Die musikalischen Beiträge haben mich auch sehr angesprochen und zeigten ein hohes musikalisches Niveau.

    • Nörtershäuser

      Vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Es freut uns, dass der Gottesdienst als so ansprechend empfunden wurde. Daher noch ein Tipp für den 4. August: Wir laden herzlich ein, den Israelsonntag auch als interreligiösen Gottesdienst um 17 Uhr in der Thomaskirche in Frücht zu feiern.

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